Wunsch oder Wirklichkeit?

Wunsch oder Wirklichkeit?

Freiheit ist wichtiger als die eigene Haltung

Cicero | 20.09.25

Das] Aufeinanderprallen unterschiedlicher Meinungen zur geistigen Auseinandersetzung (ist) keine liberale Romantik. Es ist vielmehr die Kern-DNA jeder aufgeklärten und freien Zivilisation – wie es Deutschland und die USA sein wollen und sein müssen, wenn sie sich nicht selbst verraten wollen. […]
Das Bundesverfassungsgericht zitierte bereits […] 1958 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung von 1789 und erklärte, es handle sich um „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“. Sie sei für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend, denn sie ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.“ Unter Berufung auf den früheren US-Supreme-Court-Richter Benjamin Cardozo stellte das Gericht zudem fest, dass die Meinungsfreiheit gewissermaßen die Grundlage jeder Freiheit überhaupt sei. Die Radikalität dieser Formulierungen und die Berufung auf französische Revolution wie amerikanische Rechtstradition sind kein Zufall. Ohne Meinungsfreiheit ist keine Gesellschaft frei.
Die Frage, die uns zunehmend beunruhigen muss, lautet: Welchen Wert hat dieses Ideal in unserer heutigen Gesellschaft noch? […]
Die Freiheit zu verteidigen ist keine Frage von links oder rechts, sondern eine Frage der Bereitschaft, den Andersdenkenden zu akzeptieren – und sich mit ihm in einer freien, friedlichen Auseinandersetzung zu messen. […]
Die Freiheit unseres Gegenübers muss uns wichtiger sein als die eigene Haltung. Diesen Ansatz haben wir zunehmend verloren – und das ist gefährlich.

Kommentar:

Der Autor des Artikels ist Wolfgang Kubicki, stellvertretender Vorsitzender der FDP. Ihm ist in diesem Punkt sicher vorbehaltlos zuzustimmen. Doch er sagt selbst: „Die ernüchternde Wahrheit: Die Deutschen selbst glauben nicht mehr daran. Nur noch 40 Prozent glauben, ihre Meinung frei äußern zu können – 1990 waren es noch 78 Prozent. Und tatsächlich hat sich das gesellschaftliche Klima in Bezug auf die Toleranz gegenüber anderen Meinungen dramatisch verändert.“
So haben sicher viele jüngere Menschen Bedenken, sich offen zur AfD zu bekennen oder gar Ämter iin der Partei zu übernehmen – nicht zuletzt aus Angst vor beruflichen Konsequenzen.

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