Alte weiße Männer – Ursache allen Übels?

Alte weiße Männer – Ursache allen Übels?

Gastbeitrag von Johanna Locke

Foto © gemeinfrei
Inzwischen haben wir gut die Hälfte des regenbogenfarbenen „Pride Month“ überstanden und die Hysterie scheint etwas abzuflauen. Dennoch eine gute Gelegenheit, sich mit dem Hauptfeind der woken Aktivisten zu beschäftigen: dem alten weißen Mann. Angeblich ist er Schuld an allem, was auf dieser Welt jemals schief lief, schief läuft und in Zukunft schief laufen wird: Sklaverei, Kolonialismus, Kriege, Kapitalismus, Sexismus, Rassismus usw.

Beginnen wir mit dem Thema Sklaverei.
Es ist zweifellos richtig, dass die Sklavenjäger und -händler überwiegend männlich waren – ebenso wie Jäger und Händler im Allgemeinen. Mit den Römern, Wikingern und später den Portugiesen, Briten, Franzosen u.a., die afrikanische Sklaven nach Amerika verschleppten, waren auch viele davon weiß. Andererseits war Sklaverei in unterschiedlichen Ausprägungen zu verschiedenen Zeiten in den verschiedensten Kulturen weit verbreitet, von den indigenen Stämmen und Völkern Amerikas und Afrikas, über Europa bis nach Asien. (Quellen s. hier)

So begaben sich die europäischen Sklavenhändler ab dem 16. Jh. kaum selbst auf Sklavenjagd in Westafrika, sondern überließen dies den Afrikanern selbst, denen sie die „Ware“ dann nur noch abzukaufen brauchten. Die übelsten Sklavenhändler und -halter waren aber die Araber, wovon man sich u.a. auf dem alten Sklavenmarkt auf Sansibar überzeugen kann. Schätzungsweise 17 Millionen Afrikaner wurden von Arabern in die Sklaverei verschleppt (10-12 Millionen von Europäern nach Amerika). Männliche Sklaven wurden kastriert, was erklärt, dass die schwarze Bevölkerung in arabischen Ländern (im Gegensatz zu Amerika) sehr überschaubar ist. (Quelle s. hier)

Die arabische Sklaverei auf Sansibar wurde übrigens 1897 beendet – durch die (weißen!) Briten, dagegen wurde in der Islamischen Republik Mauretanien die Sklaverei zwar mehrfach offiziell abgeschafft (zuletzt 2007), besteht aber praktisch weiterhin. Und nicht nur dort, wie sporadisch in den Mainstream-Medien auftauchende Artikel belegen (z.B. beim Fußball-WM-Gastgeber Katar).

Fazit: Die Hauptschuld an der Sklaverei gehört definitiv NICHT auf das Konto „alter weißer Männer“.


Nächster Punkt: Kolonialismus.

Auch das nicht unbedingt eine europäische Spezialität, man denke an die Großreiche in Ägypten, Persien, Indien, China, oder die der Mongolen, Azteken und Inka. Oder an die brutale arabisch-muslimische Kolonisierung, die in ihrer „Blütezeit“ von Spanien über Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten, Zentralasien bis nach Indien und Südostasien reichte.

Oder das Osmanische Reich. Die Europäer waren zwar die Einzigen, deren Kolonien bis in die fernsten Zipfel der Welt (Australien, Amerika, Südafrika) reichten, aber das lag wohl schlicht daran, dass sie als Einzige über die Möglichkeiten dazu verfügten. Oder wer glaubt ernsthaft, dass Mongolen, Araber oder Osmanen eine Chance zur Eroberung der ganzen Welt NICHT genutzt hätten?

Auch die Barbarei der Kolonialisten unterscheidet sich allenfalls graduell. Ein besonders übles Beispiel waren sicher die Kongogräuel der Belgier, aber auch Mongolen, Araber und Türken schreckten vor ähnlichem Gemetzel nicht zurück. Auch die massenhaften Menschenopfer der Azteken sind nicht gerade ein Beleg für die grundsätzliche moralische Überlegenheit nicht-weißer Völker. Auf der anderen Seite erhöhten „weiße“ Errungenschaften wie Bildung, effektivere (Land-)Wirtschaft oder ein funktionierendes Gesundheitssystem die durchschnittliche Lebenserwartung in den kolonisierten Gebieten beträchtlich.

Ein vergleichbares Bild findet sich bei den Themen Krieg, Sexismus und Rassismus. Meist ist es auch kein Männer-spezifisches Problem: auch Frauen hielten Sklaven, führten Kolonialreiche (Queen Victoria) und waren/sind üble Rassisten (mit verschiedener Hautfarbe), nur meist weniger auffällig. In jüngster Zeit fallen Frauen auch zunehmend durch Kriegspropaganda auf (Nuland, Baerbock, Strack-Zimmermann) – aber natürlich immer auf Seiten der „Guten“.

Bleibt der Kapitalismus.
Dieser ist wohl tatsächlich ein Produkt „alter weißer Männer“ – ebenso wie die Industrialisierung, die letztlich die Voraussetzung für die Entstehung des Kapitalismus war.

Es waren weiße Männer, die die Elektrizität nutzbar machten, die Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektromotor, Flugzeug und viele andere überaus nützliche Dinge erfanden. Ihre Erfindungen und die marktwirtschaftliche Anwendung im Kapitalismus verbesserten unseren Alltag und schufen den Wohlstand der westlichen Welt. Keine andere Gesellschaftsform als der Kapitalismus ermöglichte mehr Wohlstand, Bildung und individuelle Freiheit für die breite Masse der Bevölkerung. Sicher ist er nicht ideal, aber es hat objektive Gründe, dass sehr viele Menschen aus anderen Weltregionen und Gesellschaftssystemen in Richtung westlicher Kapitalismus flüchten – und nur sehr wenige in die andere Richtung.

Zu guter Letzt noch das Thema „kulturelle Aneignung“.
Wenn man es als Weiße(r) wagen sollte, traditionelle Kleidung oder Haartracht anderer Kulturkreise zu tragen (und sei es auch nur zum Karneval) gilt dies als „kulturelle Aneignung“ und der oder die Täter(in) wird umgehend aus der Welt der „Guten“ verbannt. Aber wie viele der woken Aktivisten aller Hautfarben und Geschlechter, die Kapitalismus im Allgemeinen und weiße Männer im Speziellen verdammen, sind eigentlich konsequent genug, auf deren Errungenschaften zu verzichten?

Wie viele der jungen Kämpfer für Gerechtigkeit aller 60+ Geschlechter bestreiten ihren Lebensunterhalt selbst ohne Unterstützung durch den Vater oder andere männliche Steuerzahler?

Wie viele verzichten auf Erfindungen alter weißer Männer wie motorisierte Fortbewegung, Computer, Handy, Waschmaschine, Antibiotika oder „die Pille“? Oder ganz grundsätzlich auf Elektrizität und alles, was damit hergestellt wurde?

Nun ja, die Grünen arbeiten zumindest daran.