Die polnische Sicht der Dinge

Die polnische Sicht der Dinge

„Die Europäische Union maßt sich Rechte an, die sie nicht hat“

Cicero | 24.10.21

Zdzisław Krasnodębski war bis 2019 Professor für Soziologie in Bremen und gehört für die polnische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) seit 2014 dem Europäischen Parlament an. […]
Das aktuelle Parlament hat gegenüber seinem Vorgänger eine deutliche Linksverschiebung erlebt. Davor konnten die konservativen Kräfte in einer Reihe von Fragen noch Mehrheiten organisieren, seit der letzten Wahl ist es damit vorbei. Wir erleben nun, dass die „fortschrittlichen“ Kräfte in allen Bereichen zunehmend ideologisch diskutieren. Dabei geht es nicht nur um das Problem der Rechtsstaatlichkeit, sondern um das Familienrecht, den Lebensschutz und überhaupt zunehmend ethische Fragen. Aber wie ein Land und seine Bürger leben wollen, geht das Europäische Parlament schlicht nichts an. Statt einer Pluralität der Kulturen, auch der politischen Kulturen und der Rechtstraditionen, soll es ein einziges Modell geben, eine einzige linksliberale Interpretation der europäischen Werte. Europa wird immer stärker zentralisiert und vereinheitlicht. […]
Polen ist nur der Übungsplatz für jene, die in Wahrheit einen Europäischen Bundesstaat wollen. Dafür gibt es unter den Mitgliedsstaaten keine Mehrheit, also müssen andere Mechanismen aktiviert werden. […]
Die Europäische Union maßt sich Rechte an, die sie nicht hat. Die EU kann nur über Dinge befinden, zu denen die Mitgliedsstaaten die Union ermächtigt haben. Die innere Organisation der Justiz gehört ausdrücklich nicht dazu. Polen steht mit seiner Kritik übrigens ja auch nicht allein. Zahlreiche Verfassungsgerichte europäischer Länder haben den Machtanspruch Europas zurückgewiesen. Dazu gehört übrigens auch das Deutsche Bundesverfassungsgericht. […]
Man wirft Polen vor, dass die Politik Einfluss auf die Auswahl der Richter nimmt. Nur: Auch die Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts werden von der Politik bestimmt. Ich habe aber noch nichts davon gehört, dass die EU die Unabhängigkeit der deutschen Justiz für gefährdet hält. […]

Kommentar:

Dazu nur einige Sachinformationen:

 

1) Erinnern Sie sich noch daran? Tagesschau de am 09.06.21:
„Die EU-Kommission hält das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihekäufen der EZB für einen „gefährlichen Präzedenzfall“. Deswegen leitet sie nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.“ […]
Die Brüsseler Kommission meint, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem umstrittenen Urteil zu den EZB-Anleihekäufen im vergangenen Jahr gegen den Vorrang des EU-Rechts verstoßen hat. Deutschland habe damit gegen Grundprinzipien des EU-Rechts verstoßen. Mit der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens hat die Bundesregierung nun zwei Monate Zeit, auf die Vorwürfe schriftlich zu reagieren.“
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eu-vertragsverletzungsverfahren-anleihekaeufe-ezb-101.html
Dort erfahren Sie auch, wie der Streit „beigelegt“ wurde.

 

2) Wie werden in Deutschland die Verfassungsrichter gewählt? Vgl. dazu:
https://www.bundestag.de/richterwahl

 

3) Sind die Richter politisch unabhängig?
Kennen Sie die Kritik des ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU)? Hier finden Sie dazu einen Artikel des SPIEGEL vom 14.07.12 [!]
„Dieser Wahlmodus wird in Politik und Justiz immer wieder heftig kritisiert, weil er unter erheblicher Einflussnahme der großen Parteien steht. Die Kritiker monieren, Vorentscheidungen würden nicht mehr vom Wahlausschuss selbst, sondern von einer kleinen Arbeitsgruppe getroffen. In dieser sogenannten Findungskommission bestehe eine informelle Absprache, wonach CDU/CSU und SPD sich gegenseitig das Besetzungsrecht für je vier Stellen in jedem Senat zugestehen und gegebenenfalls ein Besetzungsrecht an einen kleineren Koalitionspartner abtreten.“
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/lammert-kritisiert-bundesverfassungsgericht-wegen-richterwahl-a-844356.html

 

4) Aus dem Wahlprogramm der AfD 2021:
https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2021/06/20210611_AfD_Programm_2021.pdf
Seite 15:
„Die Gewaltenteilung gewährleisten
Zahlreiche Gesetze und die politische Praxis haben die Gewaltenteilung in Deutschland als Kernelement des Rechtsstaats über die Jahre in Gefahr gebracht und zu einer überbordenden Staatsgewalt geführt: Ehemalige Politiker auf Richterstühlen, Abgeordnete, die zugleich Kanzler, Ministerpräsident oder Minister sind und sich insoweit selbst kontrollieren, sowie parteipolitische Netzwerke, die durch verbotene, verfassungswidrige Ämterpatronage entstehen, können nicht länger toleriert werden. Öffentliche Ämter sind ausschließlich nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung” zu vergeben (Art. 33 Abs. 2 GG).

 

Entpolitisierung der Justiz
Die AfD will die Einflussnahme der politischen Parteien auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten beenden. Auch wollen wir die Praxis ändern, dass die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden und im Einzelfall dem Justizminister berichtspflichtig ist. Die Unabhängigkeit der dritten Gewalt muss durch eine Selbstverwaltung der Justiz ausgebaut werden, wie es in vielen anderen europäischen Ländern bereits üblich ist. Wir unterstützen daher den Modellvorschlag des Deutschen Richterbundes, einen Justizwahlausschuss und einen Justizverwaltungsrat einzurichten. Insbesondere die Verfassungsgerichte und Rechnungshöfe sind vor parteipolitischer Einwirkung zu schützen.“

 

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Erneuter Appell an die Politik –„Deutschland verpasst zum zigsten Mal eine große Chance“

 

Ich bin Muslim und will keine Muezzin-Rufe in Deutschland – weil ich weiß, wohin das führt

 

Schon während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 kam eine Moschee in Neukölln in Zusammenarbeit mit der hiesigen Lokalpolitik auf die Idee, den Muezzin-Ruf als Zeichen der Solidarität zu nutzen. Infolgedessen standen hunderte junge Menschen vor der Moschee, legten wenig Wert auf die geltenden Abstandsregeln und feierten die Rufe des Muezzins als persönlichen Sieg für sich und ihre Religion.
Für viele von ihnen, insbesondere aus dem Umfeld des politischen Islams, bedeutet jede Aktion, welche zu mehr Sichtbarkeit ihres geltenden Islam-Verständnisses in der Öffentlichkeit führt, einen Sieg. Dieses Islamverständnis fordert für sich und seine Anhänger einen Exklusivitätsanspruch und besitzt Anspruchsmentalität. Ihnen geht es wenig um Gleichberechtigung oder Toleranz der Religionen und um deren Co-Existenz, sondern ausschließlich um mehr Sichtbarkeit, mehr Macht und mehr Unterwanderungsmöglichkeiten.
Muezzin-Rufe in Deutschland werden nicht zu mehr Toleranz führen, sondern zu mehr Spaltung
Und während Berliner Politiker die Aktion als Zeichnen der Solidarität, Toleranz, Offenheit und Vielfalt feierten, gingen die Bilder aus dieser Berliner Nebenstraße um die Welt. In einigen Teilen wurde die Botschaft nicht als Zeichen der Offenheit und Solidarität verstanden. Sondern als Etappensieg eines politischen und weniger toleranten Islamverständnis mit seinen ununterbrochenen Bemühungen sich mit allen Möglichkeiten zu behaupten, auch außerhalb seiner historischen Grenzen.

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