Cicero gegen den Mainstream – toll!

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Falscher Alarm

Cicero | 01.09.20

Kurz nach dem „Sturm auf den Reichstag“ floriert das beliebte Narrativ der durch Rechtsextreme bedrohten Demokratie. Das gebetsmühlenartige Warnen vor der rechten Gefahr birgt jedoch Widersprüche. […]
Halten wir kurz inne und fragen, was wirklich passiert ist an jenem Samstag vor dem Reichstag. Eine Heilpraktikerin aus der Eifel hat per Megafon andere Irre, darunter etliche, die Schwarz-Weiß-Rot schwenkten, aufgefordert, sich auf die Stufen des Reichstags zu setzen.
Von Reichskriegsflaggen, die der Bundespräsident gesehen haben will, war übrigens wenigstens auf den Fotos vom Ort des Geschehens nichts zu erkennen. […] Die Demonstranten haben sich nach kurzer Zeit von drei Polizisten wieder von den Stufen vertreiben lassen. […] Es sind keine Steine und keine Molotow-Cocktails geflogen, kein Polizist musste verletzt ins Krankenhaus gefahren werden, und der Reichstag steht unbeschädigt wie zuvor in Berlins Mitte.
Kein Beleg für rechtsextreme Bedrohung
Spielen wir einmal hypothetisch durch, was wohl geschehen wäre, wäre vor dem Parlament […] der schwarze Block von Connewitz oder die Putztruppe der Roten Flora aufmarschiert. Oder der Mob von Stuttgart.
Viele Bürger werden sich jetzt am Kopf kratzen und fragen, warum ein solcher Vorfall als Beleg für die virulente rechtsextreme Gefahr herhalten muss. Noch einmal: Die soll in keiner Weise verharmlost oder kleingeredet werden, aber der Tag von Berlin taugt, wenn nicht alle Indizien trügen, nicht zur Illustrierung des Narrativs. Es sei denn, man unterlegt ihn mit einem dramatisch-düsteren Soundtrack, wie es der Bundespräsident getan hat.

Kommentar:

Die Leserkommentare zeigen fast alle Zustimmung zu der Einschätzung des „Sturms“ im Artikel. Nur 3 Beispiele:
1) „Falscher Alarm und alle Berufsempörten stehen wie gewünscht auf der Matte. Und ein Aufschrei mit Pathos überladene Reden, Mahnung an die Vergangenheit, Demokratie ins Herz getroffen usw., usw. Also wenn ein paar Treppenstürmer das Herz der Demokratie treffen, dann kann’s mit der Demokratie nicht sehr weit her sein. Es ist erstaunlich was/wen und wie ein paar testostorongesteuerte Chaoten alles auf die Bühne bringen können.“
2) „Theaterdonner
Zitat: „Wenn wir nicht wachsam sind, droht der Wiedergang der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Ha, da war der „Sturm auf die Treppen“ wohl ein zur rechten Zeit entstandener Anlass für die Dauerempörten, für´s Draufdreschen auf vermeintlich systemsprengende Rechte. –
Diese besagten Spinner waren bei den etwa 40.000 Teilnehmern der Demo eher im Promillebereich zu finden und konnten dank der „Erstürmung“ in der Mediendeutung als Hauptprotagonisten und zu zentralen Gestalten der Demo aufgeblasen werden. – Ich spür´ regelrecht die heimliche Freude bei den Empörungswellenverbreitern. – Und der Bundespräsident diskreditiert ganz nebenbei gleich alle Demo-Teilnehmer quasi zu Sympathisanten der Rechten. – Kleingeistiger geht´s wirklich nicht! – Wie lange noch lässt sich der Michel mit solch überzogenem Theaterdonner manipulieren?“
3) „Sturm?
Man sollte eigentlich davon ausgehen, wenn es denn ein Sturm gewesen wäre, dass 3 Polizisten diesen nicht aufgehalten hätten. Auf mich wirkte dass eher wie eine rückwärts gewandte Folklore, als dass unsere Demokratie in Gefahr war. In Stuttgart oder Frankfurt sah das schon eher nach Bürgerkrieg aus. Seltsamerweise wurden da keine Polizisten geehrt, aber das war eben nur die Partyszene.
Zudem sei angefügt, dass die vordemokratischen „Kaiserfahnen“ nicht verboten sind.“

 

Eigener Kommentar:
Wäre es besser gewesen, man hätte den Reichstag nicht Bundestag genannt? Dann wären nicht vor dem Reichstag Reichsfahnen zu sehen gewesen.

 

Frage: Erinnern Sie sich auch noch daran, dass Herr Steinmeier als Bundespräsident zur Teilnahme an einen Konzert von „Feine Sahne Fischfilet“ aufgerufen hat und wohl keinen Anstoß daran nimmt, dass die Gruppe und ihre Fans „Bullenhelme fliegen“ lassen wollen und der Polizei „eure Knüppel (…) in die Fresse rein“ hauen wollen. Derselbe BP zeichnet in Berlin Polizisten aus, denen offenbar niemand mit Knüppel in die Fresse hauen wollten.

 

Im Übrigen sei auch in diesem Zusammenhang noch einmal auf ein Interview mit dem früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen hingewiesen, das man für Diskussionen immer kennen sollte. Er sagt:
„Die Meinungsvielfalt gerät in Gefahr. Um sie zu bewahren, ist nicht zuletzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk gefordert. Homogene Berichterstattung, wie wir sie bei Themen wie Griechenland, Lokführer-Streik, Russland, Brexit und auch Trump erlebt haben und erleben, ist der schleichende Tod der Demokratie. […]
Alle marschieren in eine Richtung, nicht selten im Einklang mit der vorherrschenden Meinung in der Politik. Bedenklich!“
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/ehemaliger-wdr-intendant-im-interview-fritz-pleitgen-die-meinungsvielfalt-geraet-in-gefahr/24578112.html?ticket=ST-2879158-l9H5D5g1MOWSOdjpqT7c-ap5

 

Daher sei dem Cicero wieder einmal für eine „inhomogene“ Berichterstattung und Kommentierung gedankt.

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