«Der andere Blick»

«Der andere Blick»

Götterdämmerung der Volksparteien: Ist nach der SPD nun die CDU an der Reihe?

Neue Züricher Zeitung NZZ | 28.02.20

Viel tiefer kann eine Volkspartei nicht sinken. Da verlieren die Sozialdemokraten in ihrer Hochburg Hamburg knapp sieben Prozentpunkte und feiern dies als grossen Sieg, weil sie weiter den Bürgermeister stellen. Man muss sich mit sehr wenig zufriedengeben, wenn man einmal ganz unten angekommen ist. Die CDU ist dort noch nicht angelangt, aber sie bewegt sich auf diesen Punkt zu. […]
Als [die Christlichdemokraten] in Thüringen merkten, was sie bis hin zum Vertrauensverlust bei den eigenen Wählern angerichtet hatten, flüchteten sie in eine Konstruktion zur Rettung ihrer Pfründen. Statt die Bürger rasch an die Urnen zu rufen, um so einen Ausweg aus der verfahrenen Lage zu finden, will man die Pattsituation künstlich verlängern. Selten führten Abgeordnete in solcher Dreistigkeit vor, dass es ihnen hauptsächlich um ihre Mandate und Diäten geht.
Egoismus im Westen, Egoismus im Osten – ein schlechteres Bild könnte die CDU kaum abgeben. Ist ihr Abstieg nun so unausweichlich wie bei der SPD, die trotz dem raren Hamburger Glücksmoment froh sein muss, wenn sie in Umfragen nicht hinter die AfD zurückfällt?

Kommentar:

Ist eigentlich der Eindruck falsch, dass die anderen Parteien die AfD propagandistisch verteufeln, um von ihren eigenen Problemen abzulenken? Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet weiterhin nicht statt, nur das Vokabular der Beschimpfungen wird immer schärfer. Als noch recht gemäßigtes Beispiel sei nur Armin Laschet angeführt: „Wir lassen uns unser Land nicht kaputt machen von diesen Typen“.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/armin-laschet-attackiert-afd-a-e24cb840-7587-4125-8a11-b2222efdd4fd
Entlarvend, was er als „seine“ politischen Ziele nennt: „Wirtschaftspolitik, Bürokratie abbauen, Investoren anlocken, Recht durchsetzen, Bildungschancen verbessern.“ Das alles könne die CDU nur schaffen, „wenn alle mit an Bord sind“.
Warum entlarvend?
Mit seinen Zielen „bekennt“ Armin Laschet aber öffentlich, dass die Regierungen der letzten 15 Jahre unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel versagt haben; denn er sagt:
– es braucht eine neue Wirtschaftspolitik
– es gibt zu viel Bürokratie
– es sind zu wenige Investoren angelockt worden
– das Recht ist nicht durchgesetzt worden
– die Bildungschancen sind nicht gut

 

Doch Laschet sieht die Schuld natürlich nicht in den eigenen Reihen, sondern natürlich bei der AfD:
„Wir lassen uns unser Land nicht kaputt machen von diesen Typen“.
Was gäbe es für einen Aufschrei, wenn die AfD das sagen würde? Und: Sind in der AfD keine „Menschen“, sondern nur „Typen“? Und warum will die CDU solche „Typen“ überhaupt wieder zurückhaben?

 

Anderer Meinung ist Henryk M. Broder in DIE WELT vom 24.02.20:
„Es kann nicht sein, dass die AfD an allem schuld ist“
https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus206088389/Aufstieg-der-AfD-Es-kann-nicht-sein-dass-die-AfD-an-allem-schuld-ist.html

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