Pflichtlektüre für unabhängige Demokraten

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Ein Weltbild bröckelt – die Linke und der Islamismus

Neue Züricher Zeitung NZZ | 02.11.20

Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den ermordeten Lehrer Samuel Paty würdigte, sagte er einen bemerkenswerten Satz: «Dem Bösen habe ich einen Namen gegeben.» Der Satz scheint banal, aber in der gegenwärtigen Debatte ist er es nicht. Denn was Macron als das Böse benannt hat – «den politischen, radikalen Islamismus, der bis hin zum Terrorismus führt» –, ist für viele Politiker und Journalisten ein Problem, dessen Name möglichst diskret oder noch besser gar nicht ausgesprochen wird.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas (SPD) richtete folgende Worte an «unsere französischen Freundinnen und Freunde», nachdem Samuel Paty auf offener Strasse von einem tschetschenischen Flüchtling enthauptet worden war: «Von Terror, Extremismus und Gewalt dürfen wir uns nie einschüchtern lassen.» Das Wort «Islamismus» erwähnte er nicht. Das tat er erst am vergangenen Donnerstag, nachdem ein weiterer, aus Tunesien stammender Terrorist in Nizza drei Menschen getötet hatte. Ob das Zufall oder Absicht war, bleibt offen. Sicher ist aber, dass nach dem Mord an Paty eine Diskussion innerhalb der deutschen Linken entbrannte über die Frage, ob man den Islamismus in den letzten Jahren verharmlost habe.
Tatsächlich müssen sich diese nicht nur Linke stellen. Aber hier war der Drang zur Verharmlosung und Verdrängung in den letzten Jahren derart gross, dass sich längst auch progressive Muslime, Juden, Homosexuelle, Feministinnen oder freidenkerische Linke zunehmend fragten, was da eigentlich mit dieser ehemals religionskritischen, emanzipatorischen Bewegung los ist.

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