Weit mehr als eine Fernsehkritik. Bravo!
Hilfloser Appell an die schweigende Mehrheit
FAZ | 07.10.16
Wie funktioniert Demokratie? In der Regel tauschen Menschen als Vertreter ihrer Organisationen Positionen aus, damit anschließend das Volk in freier Wahl eine Entscheidung treffen kann. Die Voraussetzung sind Meinungsunterschiede, die entsprechend Streit und Konflikte auslösen. Wenn die Parlamente in westlichen Demokratien solche Meinungsunterschiede nicht mehr abbilden, bekommen sie ein Legitimationsproblem. Das war in Westdeutschland in der Zeit der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 zu erleben. Die APO lebte nicht zuletzt vom Fehlen einer relevanten Opposition im Bundestag. Sie trat an deren Stelle. Symbolische Aktionen, wie die Ohrfeige für den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger, bekamen nicht zuletzt deshalb ihr politisches Gewicht. Es war die Antwort von Außenseitern auf die Dominanz des politischen Establishments.
In Dresden ist bei den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit niemand geohrfeigt worden. Es gab allerdings lautstarke Proteste, inklusive Beleidigungen für die in Dresden versammelten Repräsentanten der Berliner Republik. Handelt es sich dabei eigentlich in der Terminologie der APO auch um das Establishment?
In Dresden ist bei den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit niemand geohrfeigt worden. Es gab allerdings lautstarke Proteste, inklusive Beleidigungen für die in Dresden versammelten Repräsentanten der Berliner Republik. Handelt es sich dabei eigentlich in der Terminologie der APO auch um das Establishment?
Kommentar:
Der Artikel ist fast ein „Muss“ für politisch Interessierte. So muss Journalismus sein – entsprechend der Forderung des unvergessenen Hans-Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“
Lesenswert sind auch die Leserkommentare.
(1970)